856 Kinder und Jugendliche sind aktuell in Heimen untergebracht. Der demografische Wandel und der Mangel an Pflegefamilien erschweren die Situation. Weniger als 50 Prozent der Heimkinder kehren in ihre Herkunftsfamilien zurück.
Nach Angaben des Office national de l’enfance (ONE) vom April 2024 leben 1.512 Kinder und junge Erwachsene in Luxemburg nicht mehr bei ihrer leiblichen Familie. Im Oktober 2023 waren es noch 1.461 Kinder. Die Zahlen werden jeweils am 1. April und 1. Oktober des laufenden Jahres aktualisiert. 60 Prozent der Kinder sind in Heimen untergebracht und 40 Prozent in Pflegefamilien. Knapp 70 Prozent auf Anordnung eines Jugendrichters.
Obwohl die Zahl der Pflegefamilien in den vergangenen Jahren gestiegen ist, sind es immer noch zu wenig, um allen Kindern gerecht zu werden. „Wir brauchen doppelt so viele Pflegefamilien“, sagte Mireille Molitor, Präsidentin der FleegeElteren Lëtzebuerg a.s.b.l., denn auch im vergangenen Oktober in einem Interview mit dem „Luxemburger Wort“.
Kinder und Jugendliche werden also überwiegend in Heimen untergebracht, obwohl dies der letzte Ausweg sein sollte. In Luxemburg gibt es derzeit 128 Wohngruppen in Einrichtungen, die unter den übergreifenden Begriff „Centre d’Accueil“ (CA) fallen, wie das Erziehungsministerium auf „LW“-Nachfrage mitteilt. 856 Kinder und Jugendliche seien demnach dort untergebracht.
Das „Kannerland“ als Teil der „Elisabeth“-Werke im hauptstädtischen Viertel Limpertsberg: Hier leben Kinder unter drei Jahren rund um die Uhr in Wohngruppen. 1 / 4 Foto: Anouk Antony
Ein Aufenthaltsraum zum Spielen: Hier können die leiblichen Eltern Zeit mit ihren in Obhut genommenen Kindern verbringen. 2 / 4 Foto: Anouk Antony
Die Zahl der Kinder mit „Besoins spécifiques“, zum Beispiel einer Behinderung, ist angestiegen. Deshalb gibt es einen speziellen Bewegungsraum, um die motorischen Fähigkeiten zu fördern. 3 / 4 Foto: Anouk Antony
Aktuell gibt es eine verstärkte Nachfrage für Neugeborene und Kleinkinder. 4 / 4 Foto: Anouk Antony
Zur Frage nach der Auslastung der Kinderheime in Luxemburg heißt es aus dem Ministerium: „Da die Fremdunterbringung von Tag zu Tag variiert, verfügt das ONE nur über Momentaufnahmen“, und versichert zugleich: „Zu jedem Zeitpunkt können Plätze für Kinder und Jugendliche gefunden werden, die Hilfe und Schutz benötigen.“
Mehr Kinder mit Behinderung
Aktuell scheinen insbesondere die Kleinsten Schutz und Fürsorge zu benötigen. Das bestätigt auch Jacques Schloesser, Direktor der Elisabeth Kanner- a Familljenhëllef mit Sitz im hauptstädtischen Limpertsberg. Das war nicht immer so. Ein Beispiel ist das Haus Françoise Dolto in Howald, das in seiner ursprünglichen Form als Tag- und Nachtstruktur für Neugeborene und Kleinkinder seit Anfang 2022 nicht mehr existiert. „Wegen der sehr geringen Nachfrage wurde damals beschlossen, das Haus einer neuen Bestimmung zuzuführen“, so Schloesser. Seither beherbergt es eine Langzeitwohngruppe für vier Kinder und Jugendliche im Alter zwischen vier und 18 Jahren.
"Wir werden immer Heimstrukturen brauchen". Jacques Schloesser, Direktor der Elisabeth Kanner- a Familljenhëllef. Foto: Anouk Antony
Doch Stand Juni gebe es wieder eine verstärkte Nachfrage für Neugeborene und Kleinkinder. „Gerade sind wir dabei, mit den zuständigen Dienststellen des Erziehungsministeriums nach Lösungen zu suchen und zeitnah zusätzliche Plätze anbieten zu können“, fügt Jacques Schloesser hinzu. Das Ministerium erklärt den steigenden Bedarf mit dem Bevölkerungswachstum in Luxemburg. „Der demografische Wandel hat natürlich Auswirkungen auf die Verfügbarkeit freier Plätze in Kinderheimen, weshalb verstärkt neue präventive, familienunterstützende und ambulante Maßnahmen geschaffen werden“, heißt es.
In den 13 Wohngruppen der Kinder- und Jugendhilfe von „Elisabeth“ mit insgesamt 100 Plätzen sind allein 29 Plätze für Neugeborene und Kinder bis zu einem Alter von vier Jahren reserviert.
Die Verweildauer in den verschiedenen Gruppen sei individuell und liege zwischen sechs Monaten und drei Jahren. „Die meisten Kinder bleiben ein bis zwei Jahre“, sagt Schloesser. „Ich weiß, dass das lang ist“, gibt er zu. „Wir sind seit eineinhalb Jahren komplett belegt.“ Ein Grund sei einerseits der Mangel an Pflegefamilien. Außerdem gebe es immer mehr Kinder mit speziellen Bedürfnissen, weil sie zum Beispiel eine Behinderung haben. Weil diese Kinder schwerer zu vermitteln seien, gebe es im Heim weniger Wechsel.
„Je länger ein Kind im Heim ist, desto unwahrscheinlicher wird es, dass es zu seinen Eltern zurückkommt“, gibt der Direktor zu bedenken. So kehrten weniger als 50 Prozent der Heimkinder in ihre Herkunftsfamilien zurück. Den Vorwurf, in Luxemburg würden zu viele Kinder in Heimen landen, relativiert Jacques Schloesser. „Es ist ja nicht so, dass wir in Luxemburg inkompetentere Eltern als anderswo haben. „Vielleicht haben wir auch einfach nur mehr Geld für Heime und deshalb können mehr Kinder im Heim betreut werden.“ Natürlich sei eine ambulante Betreuung besser als eine stationäre, aber: „Wir werden immer Heimstrukturen brauchen.“
Franziska Jäger, Redakteurin